Die gestohlene Mauer
Die Mauer wurde mir gestohlen.
Die Mauer wurde mir gestohlen.
Schon damals fühlte ich mich wie hinter einem eisernen Vorhang.
Berlin war ja the place to be!
Ich aber, kleine
französische Deutschlehrerin, hockte hochschwanger in der Auvergne, in
Clermont-Ferrand, mit meiner vierjährigen Tochter und meinem Mann, der bei der
Bahn arbeitete. Er war total links, Kommunist pur, wir durften noch nicht mal
einen Fernseher besitzen: solche Sachen gehörten ja zur Konsumgesellschaft.
Manchmal floh ich zu
den Nachbarn, um mal in Ruhe „Miami Vice“zu sehen...
Am Tag, wo alles
anfing, weiß ich noch ganz genau, wie ich krank im Bett lag, das Ohr an einem kleinen
Radio, und wie ich vor Freude und Wut weinte.
Freude, weil ich an Iris dachte, meine Brieffreundin; jahrelang hatten wir uns geschrieben, ein bildhübsches Mädel. Sie lebte in Dresden, und schickte mir Weihnachten immer so süße Figuren aus dem Erzgebirge…Ich dagegen hatte ihr ihre ersten Jeans geschenkt, und Platten, Rolling Stones, Abba…
Freude, weil ich an Iris dachte, meine Brieffreundin; jahrelang hatten wir uns geschrieben, ein bildhübsches Mädel. Sie lebte in Dresden, und schickte mir Weihnachten immer so süße Figuren aus dem Erzgebirge…Ich dagegen hatte ihr ihre ersten Jeans geschenkt, und Platten, Rolling Stones, Abba…
Wut, weil ich als
Europakind doch so gerne dabei gewesen wäre…Eine deutsche Mutter aus dem
Rheinland, ein französischer Vater aus Südfrankreich, schon immer pendelte ich
zwischen schneeweißen Tannenwäldern und sonnigen Lavendelfeldern, zwischen
Heine und Hugo, Renoir und Klimt…Gerade hatte ich den ersten Teil meiner Diss
über „Heutige Jugendrevolte in der BRD“ geschrieben, und so gerne wäre ich in
dieser Woche auch „das Volk“ gewesen…
Aber nein, gar die
Bilder dufte ich nicht ansehen, nur von weitem konnte ich es ahnen, an diesem
Tag, wo die Mauer fiel: das Jubeln und die Tränen, die unter diesem nicht mehr
geteilten Himmel sich mischten und mich bis in meine Einsamkeit erreichten.
Als Rostropovitch dann mit dem Cello anfing, musste ich selbst so heftig weinen, dass meine zweite Tochter beinahe als Mauerkind zur Welt gekommen wäre…
Als Rostropovitch dann mit dem Cello anfing, musste ich selbst so heftig weinen, dass meine zweite Tochter beinahe als Mauerkind zur Welt gekommen wäre…
Ja, schon damals
spürte ich, dass ich gerade NICHT dabei war. So gerne hätte ich mitgejubelt,
wäre ich geklettert, hätte Bananen geschenkt, so gerne hätte ich im weiten Feld
der Weltgeschichte eine winzige Rolle gespielt.
Aber schon nach dem
Abi war aus meinem Traum, in den USA zu studieren und Journalistin zu werden,
nichts geworden; ich war noch minderjährig und hatte mich der Obrigkeit eines despotischen
Vaters gefügt, um in Frankreich in einer „Grande Ecole“ zu studieren, und dann
der Tyrannei meines ersten Mannes, der selbst nicht studiert hatte, und
verlangte, dass ich so schnell wie möglich einen Job fand.
So lange, so lange ist es her…
Meine Töchtern sind
längst über ihre eigene Mauer gesprungen, wurden nach unserer Scheidung selbst
zur Luftbrücke, mitten im kalten Krieg ihrer Eltern; unsere älteste Tochter
arbeitete sogar einen Sommer im Tacheles und
sagt es mit glänzenden Augen: „Ich bin eine Berlinerin!!!“
Ich aber sitze heute,
am siebten November 2014, als bleiche Mutter und Deutschlehrerin noch besudelt
unter den Schulden meines zweiten ex-Manns, habe sowieso keinen baren Heller,
um nach Berlin zu fahren, und schaffe es noch nicht mal, mich über dieses
Jubiläum zu freuen…
Und sowieso: wozu?
Meine Mauer hat man
mir gestohlen.
Meine spontane Freude
am Unterrichten ist weg-ich bin natürlich Deutschlehrerin geworden-, da ich
seit Jahren keine Schüler mehr habe, statt dessen jedes Jahr die Schule
wechseln muss, als wäre ich eine junge Vertreterin…Wie meine Kollegen muss ich
sogar oft zwischen mehreren Schulen pendeln, habe selten die Gelegenheit,
Reisen zu organisieren, verbringe mehr Zeit im Zug als im Lehrerzimmer: mein
Dasein als Deutschlehrerin ist zum Machtkampf geworden.
Dabei bin ich ja fast
eine ältere Dame, die wehmütig um ihre „Deutschtalgie“kämpft…Zwanzig Jahre ohne
feste Stelle, auch, wenn ich inzwischen meine Doktorarbeit fast zu Ende
geschrieben hätte, auch, wenn ich gar ein großes Kommunikationsprojekt um die
deutsche Sprache bis ins Ministerium getragen habe.
Alles für die Katz.
Über jüdische
Dichtung der Shoah habe ich geschrieben, bin aber selbst zur Niemandsrose
geworden. Wir französischen Deutschlehrer existieren nicht mehr.
Trotz ehemaliger Tokio
Hotel-Stimmung wählen die französischen Schüler nämlich eher spanisch, russisch
oder chinesisch als zweite Fremdsprache; Deutsch als Erstsprache gibt es nur
noch selten, und sowieso wissen wir, dass es für uns keine Karriereperspektive
mehr gibt.
Dabei lebe ich in Toulouse,
mitten im europäischen Airbus-Raum, im open space der wirtschaftlichen
Luftbrücken zwischen den beiden Europartnern…
Natürlich gibt es tolle Initiativen, sei es im nationalen oder im lokalen Bereich, vom „Deustchmobil“ bis zu den Europrojekten, die die Mobilität unserer Schüler und Studenten fördern…
Natürlich gibt es tolle Initiativen, sei es im nationalen oder im lokalen Bereich, vom „Deustchmobil“ bis zu den Europrojekten, die die Mobilität unserer Schüler und Studenten fördern…
Aber irgendwie fehlt
mir einfach die Energie; ich hätte meinen Glauben fast verloren. Nicht nur,
weil mein zweiter Mann, ein deutscher Pastor und Gauner, mir einen Bergen
Schulden hinterlassen hatte und aus meinem Leben einen Alptraum gemacht hat;
nein, irgendwie fühle ich mich an diesem Jubiläum so distanziert, wie es damals
die kleine schwangere Deutschlehrerin war. Wieder einmal bin ich nicht wirklich
dabei.
Eigentlich ist meine
Mauer nicht gefallen.
Aber:
„Den Himmel wenigstens können sie uns nicht zerteilen.“ Ja, auch mein Himmel ist noch intakt, wie meine Liebe zu meiner deutschen Heimat, mein Vertrauen am europäischen Ziel, meine Leidenschaft für deutsche Kultur es geblieben sind.
Auch, wenn meine
Zukunft als Deutschlehrerin eher düster aussieht, auch, wenn wir französischen
Germanisten in dieser bleiernen Zeit quasi ersticken, werde ich es trotzdem
immer wieder versuchen.
Ich bleibe die
Mauerspringerin. Und fühle mich als Brücke zwischen Provence und Eiffel,
Brandenburger Tor und Champs Elysées, Zikaden und Heide…Ich bin die
französische Lili Marleen und die deutsche Marianne.
Wir Europäer, wir sind das Volk.
Sabine Aussenac.
(Text 2009 geschrieben, eben aktualisiert...Ich habe ...immer noch keine feste Stelle!! Die Schulden des ex-Manns sind weg, aber...ER schuldet UNS noch über vier Jahre Unterhalt, d.h über...11 000 euros...)
Immer wieder die Pechmarie
Schwalbenfreier Himmel
zittert
grelles Mittagslicht Rosenduft
im Garten der verwechselten Träume
flattern verlorene
Mangodüfte
es ist Zeit
wo bleibt der Tag
wie weint die Nacht
wer sagt mir Rat
wo alles kracht
Leere Stille der vergangenen
Lichter
im Hof spielen Schattenkinder
Blinde Kuh
immer wieder die Pechmarie
Efeutränen im Teufelskreis
wo bleibt der Tag
wie weint die Nacht
wer sagt mir Rat
wo alles kracht
Die Sonne grinst
es donnert leise im weiten
Land der dunkelblauen Mohnblume
die Welt steht Kopf
oh es wankt die Horizontlinie
im Karussell der Schäume
wo bleibt der Tag
wie weint die Nacht
wer sagt mir Rat
wo alles kracht
Im Tannenwind Zypressedüfte
lächelnde Wüstenrose
ein Meridian der
Wahlverwandtschaften
eine Regenbogenstimme singt
im weiten winkt die Freude.